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«Die Frage ist, was uns zusammenhält»

Die Architektinnen Fabienne Hoelzel und Claudia Meier gewannen im November den Projektwettbewerb für die geplante Landesausstellung Svizra27 in der Nordwestschweiz. Hier sprechen sie über Frauen-Zusammenarbeit, Fluss-Städte und föderalen Zusammenhalt.

(Quelle Text und Printscreen: Daniel Arnet (Interview) und Siggi Bucher (Fotos), Sonntagsblick, www.blick.ch)

Frau Hoelzel, Frau Meier: Wenn Sie 20 Jahre zurückdenken, woran erinnern Sie sich?
Claudia Meier: An die Expo.02.

Hatten Sie Vorfreude? Denn die Landesausstellung war Ende 2001 ja erst Zukunftsmusik.
Meier: Ich machte damals ein Praktikum bei einem Designbüro. Und da kam die Frage auf, ob ich ein Projekt für die Expo.02 in Murten übernehmen könnte.

Sie haben also schon Erfahrung in der Planung einer Landesausstellung.
Meier:
 Ja, sozusagen.

Welche Erinnerung haben Sie an die Expo.02, Frau Hoelzel?
Fabienne Hoelzel:
 Ich erinnere mich vor allem an die Wolke in Yverdon – die war einfach toll.

Weshalb braucht es 25 Jahre später wieder eine Landesausstellung? Es gibt Stimmen, die sagen, eine Expo sei heute überholt.
Hoelzel:
 Eine Landesausstellung im klassischen Sinn mit Pavillons, in denen sich das Land vorstellt, ist tatsächlich überholt – diese Meinung würde ich teilen. Aber Landesausstellung bedeutet ja nicht, dass man Pavillons aufstellen muss, um zu zeigen, wie gut man ist.

Sondern?
Hoelzel: Wir möchten ein diskursives Format aufbauen, in dem Menschen miteinander reden. Das hat ein grosses Potenzial, das alle in der Schweiz lebenden Menschen anspricht – nicht einmal an Abstimmungen nehmen alle teil.

Und warum soll die Landesausstellung in der Nordwestschweiz stattfinden?
Meier:
 Dieses Gebiet ist ein gutes Abbild der Schweiz: Es hat alles drin von einer grossen Stadt wie Basel, kleineren Städten im Mittelland und Dörfern im Jura. Dadurch wäre die Landesausstellung schon bei der Bevölkerung.
Hoelzel: Je nach Themen, die man aufgreift, spielt es – ketzerisch gesagt – keine so grosse Rolle, wo die Landesausstellung stattfindet. Klar, was bei uns fehlt, ist der alpine Raum.

Mit dem rätoromanischen Namen Ihrer Landesausstellung, Svizra27, nehmen Sie geschickt Graubünden auf – die entgegengesetzte südöstliche Ecke der Schweiz.
Meier:
 Svizra27 sollte gar nicht nur für die Region Nordwestschweiz sein, sondern für die ganze Schweiz. Und dafür hat man die Sprache einer Randregion ins Zentrum gerückt und drückt dadurch die Vielfalt der Schweiz aus.

«Labor Ludens» – Spielwerkstatt – heisst Ihr Projekt, mit dem Sie im November den Wettbewerb für Svizra27 gewonnen haben. Wird Ihre Expo ein grosser Spielplatz?
Hoelzel:
 Labor Ludens ist eigentlich vom Homo Ludens als Gegenstück zum Homo Faber – hier auch der Hinweis auf Max Frisch – abgeleitet. Im Spiel kann jede und jeder die Zwänge der äusseren Welt erfahren, aber auch überwinden. Die dabei gemachten Erfahrungen formen die Persönlichkeit. Uns geht es um ein Spiel mit der Zukunft, und die verschiedenen Zukünfte lassen sich spielerisch besser ausprobieren.
Meier: Spielen im Sinn von Testen ist ein wichtiger Punkt: Das Publikum soll Erfahrungen sammeln und schauen, wie es das zukünftige Zusammenleben gestalten will.

«Mensch, Arbeit, Zusammenhalt» heisst das übergeordnete Leitthema von «Labor Ludens». Ist Arbeit kein Widerspruch zum Spielen?
Meier:
 Nein, das ist sehr nahe beieinander – nur schon von der Wortherkunft her gesehen.
Hoelzel: Und die Arbeit bewegt sich zumindest in reichen Ländern wie der Schweiz hin zur Sinnfindung und zur Selbstverwirklichung. Gleichzeitig schaffen Robotik und Digitalisierung andere Möglichkeiten der Wertschöpfung und dann wiederum in der Freizeitgestaltung.

Den Zusammenhalt – ein weiterer Begriff Ihres Leitthemas – hat die Pandemie arg strapaziert. Liefert die Ausstellung den Kitt oder ist bis 2027 Corona kein Thema mehr?
Hoelzel:
 Das ist ein Blick in die Kristallkugel, allerdings dürfte das Thema Pandemie bleiben – wenn nicht Corona, dann ein anderes Virus. Aber das Thema wird so oder so wichtiger, denn in der Gesellschaft wirken zentrifugale Kräfte – wir bewegen uns alle voneinander weg. Die Frage ist, was uns in einer superindividualisierten Gesellschaft zusammenhält.

Die neun Austragungsorte sollen alle an einem Fluss liegen, doch bisher ist nur Basel definiert. Haben Sie für die anderen acht Orte schon Bewerbungen?
Meier:
 Nein, so weit sind wir noch nicht. Es folgt nun eine Machbarkeitsstudie, in der wir Partnerstädte suchen können. Es geht auch darum, dass die Infrastruktur der Landesausstellung nachhaltig ist.
Hoelzel: Es gibt durchaus konkrete Vorstellungen, aber die haben wir bewusst nicht kommuniziert, um nicht falsche Hoffnungen zu schüren oder Gemeinden abzuschrecken.

Aber Aarau hätten Sie schon gerne im Boot – allerdings ist diese Stadt ausgerechnet dem Konkurrenzprojekt NEXPO beigetreten.
Hoelzel:
 Basel ja auch.

Genau, und Basel soll auch zentraler Austragungsort von Svizra27 sein. Wollen Sie damit den Basler Regierungspräsidenten Beat Jans von NEXPO zu Svizra27 locken?
Meier:
 Basel ist nun bei zwei Expo-Projekten dabei – da kann die Stadt nur gewinnen.
Wir haben bei unserer Planung nicht geschaut, wer noch woanders dabei ist.

Wenn es 2027 zu einer Landesausstellung kommt, wird ein Projekt gewinnen …
Hoelzel:
 Genau.

… Svizra27 hat aber drei Konkurrenten: Neben der NEXPO, hinter der zehn Schweizer Städte stehen, die Alpenexpo Muntagna und X27 auf dem ehemaligen Flughafen Dübendorf. Welche Chancen rechnen Sie sich aus?
Hoelzel:
 Wir haben den Wettbewerb für Svizra27 gewonnen, ohne auf die interne Konkurrenz zu schauen. So werden wir es auch beim Konkurrenzkampf gegen die drei Mitstreiter auf nationaler Ebene halten. Wir grenzen uns bewusst nicht ab, sondern arbeiten konzentriert und lustvoll an der besten Version von Svizra27.

Mit «Labor Ludens» haben Sie jetzt schon mal stark vorgelegt, und mit alt Bundesrätin Doris Leuthard, Fondation-Beyeler-Direktor Sam Keller und Bertrand Piccard stehen namhafte Personen hinter Svizra27.
Hoelzel:
 Bei Svizra27 suchte man ein Projekt und Menschen dahinter – und wenn man eine charismatische Person wie Doris Leuthard im Boot hat, ist das immer gut.
Meier: Der Wettbewerb lief über anderthalb Jahre, und da haben sich prominente Personen stark eingesetzt. Es ist wichtig, dass das Projekt breit abgestützt ist.

Steigt Ihre Akzeptanz bei der Bevölkerung, weil Sie als einzige Landesausstellung die Schweiz im Namen haben?
Hoelzel:
 Ja, ich glaube schon, dass das sehr wichtig ist. Warum soll der Bundesrat eine Landesausstellung in der Nordwestschweiz unterstützen, wenn sie nicht eine gesamtschweizerische Ausstrahlung und darüber hinaus hätte?

Sie sind ein Frauen-Duo. Wird das Auswirkungen aufs Konzept haben?
Meier:
 Das müssen andere beurteilen. Es ist sicher ein Unterschied, wie wir zusammenarbeiten, aber ob das Resultat ein anderes wird, das weiss ich nicht.
Hoelzel: Die Tatsache, dass wir Frauen sind, hat sicher Auswirkungen, denn Frauen nutzen Städte anders als Männer. Das heisst nicht, dass es besser oder schlechter ist, aber es ist eine andere Sicht.

Sie sind ja Städteplanerin, Frau Hoelzel.
Hoelzel:
 Ja, und da sehe ich, dass bis anhin nur Männer Städte planten. Und Männer planen eine Stadt, wie sie diese nutzen.

Welche konkreten Auswirkungen hat die Erkenntnis auf «Labor Ludens»?
Hoelzel:
 Ich habe Mühe, wenn ein Text nur Männer anspricht: Steht «Architekt» drin, dann spricht er mich nicht an. Das wollen wir sicher berücksichtigen. Es sollen sich alle Menschen angesprochen fühlen, auch solche ohne Schweizer Pass und Menschen, die aktuell keine politische Teilhabe an der Gesellschaft haben.

Andererseits ist der Vorstand von Svizra27 stark von Männern aus Gewerbeverbänden geprägt. Keine Angst, dass Sie der Vorstand ausbremst?
Meier:
 Nein, diese Angst habe ich nicht, denn man kann ja argumentieren.
Hoelzel: Es ist nichts als logisch, dass Frauen entsprechend repräsentiert sein müssen, denn mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung besteht aus ihnen. Aber eine bessere Repräsentanz allein garantiert noch keine bessere Welt.

Wie teilen Sie die Arbeit untereinander auf?
Meier:
 Je zur Hälfte – so haben wir das auch früher gemacht.

Kennen Sie sich aus der Zeit in São Paulo? 2010 arbeiteten Sie beide in der brasilianischen Metropole.
Hoelzel:
 Genau, dort haben wir uns zum ersten Mal über Architekturkreise kennengelernt.

Bringen Sie ein bisschen Samba in die Landesausstellung?
Meier:
 Brasilien war schon prägend, aber mehr vom Improvisationscharakter her.
Das erweitert den Horizont, um Sachen anders zu sehen und zu machen.
Hoelzel: Ohne meinen dreijährigen Aufenthalt in São Paulo wäre ich heute nicht die, die ich bin, und würde nicht das tun, was ich jetzt mache. Das Improvisieren, das Von-der-Hand-in-den-Mund-Leben in Städten des globalen Südens, wird auf jeden Fall einfliessen.

Was möchten Sie mit Svizra27 bewirken?
Hoelzel:
 Unser Projekt ist als grosses Demokratiespiel und Versuchslabor angelegt. Wenn man dort hingeht und mit anderen Menschen Ideen ausheckt, was anders werden könnte, dann hätten wir ein wichtiges Ziel erreicht: Dann hätten wir eine nachhaltige Verständigung geschaffen.
Meier: Die Besucherin und der Besucher sollen Selbsterkenntnis gewinnen, aber auch die Einsicht, Teil des Kollektivs zu sein. Heute ist das zu sehr entkoppelt.

Woran sollen sich Schweizerinnen und Schweizer 20 Jahre nach Svizra27 erinnern?
Hoelzel:
 Dass man Zukunft formen kann, selbst wenn man bloss ein kleines Korn am Sandstrand ist. Und vielleicht hat dann der eine oder die andere das Leben geändert, weil Svizra27 den Anstoss dazu gab.

Gab Ihnen die Expo.02 einen Anstoss, Frau Meier?
Meier:
 Es sind die sinnlichen Erfahrungen, die mir geblieben sind, und über die hat man sich ausgetauscht – und dieser Austausch ist geblieben. Das ist das Verbindende.

Und das wollen Sie auch 2027 schaffen?
Meier:
 Wir machen keine Arteplages, aber dass sich das Publikum emotional berührt fühlt, das ist unser Hauptziel.

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